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Mehr Bewegung ins Leben bringen

#5 Bewegung

Ist die Bewegung der vergessene Faktor in der Debatte rund um Übergewicht und Folgeerkrankungen? Mirko Eichner von der Plattform Ernährung und Bewegung (peb) sowie Dr. Christina Niermann von der Medical School Hamburg haben darüber im WVZ-Podcast diskutiert.

Beide sind sich einig, dass sich Deutschland zu wenig bewegt. Das gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder. Dabei ist unstrittig, dass Bewegung viel für unsere Gesundheit leistet. Zudem hat Bewegung ganz konkrete Folgen für den Kalorienverbrauch, und der ist für das Körpergewicht genauso wichtig wie die Kalorienaufnahme.

Doch warum ist es so schwierig, Ernährung und Bewegung in ein gesundes Verhältnis zu bringen? Die Antwort liegt in der Komplexität der Aufgabe. Denn während es in der Kariesprävention einfach ist, konkrete Verhaltensregeln zu identifizieren – regelmäßiges Zähneputzen und regelmäßige Vorsorgeuntersuchung -, sind gesunde Ernährung, Bewegung oder Körpergewicht eine Frage des Lebensstils. Jeder Mensch trifft jeden Tag zahlreiche Einzelentscheidungen, was er oder sie isst bzw. nicht isst und wieviel er oder sie sich bewegt. Und viele dieser Entscheidungen treffen wir unbewusst.

Bewegung kann man lernen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Familie. Hier werden Regeln ausgehandelt und Verhaltensweisen anhand von Vorbildern eingeübt: Wie kommt das Kind morgens zur Schule, zu Fuß oder mit dem Auto? Welche Rolle spielt Bewegung generell im Familienalltag? Und welche Bewegungsmöglichkeiten gibt es überhaupt im unmittelbaren Wohnumfeld? Auch soziale Faktoren setzen einen Rahmen, der manche Verhaltensmuster einfacher macht als andere.

Appelle an das Verhalten sind daher sinnlos, wenn nicht zugleich die entsprechenden Verhältnisse geschaffen werden. Bei Kindern kommt es darauf an, gerade in ganz jungen Jahren Möglichkeiten zu schaffen, dass sie ihren natürlichen Bewegungsdrang ausleben können. Doch spätestens in der Schule lernen Kinder, still zu sitzen und sich nicht zu bewegen. Einige Pädagogen sprechen daher nicht von der Einschulung, sondern von der „Einstuhlung“.

Eichner und Dr. Niermann attestieren dem Thema Bewegung ein Aufmerksamkeitsdefizit. Während die Debatte um die vermeintlich richtige Ernährung sehr engagiert geführt wird, steht die Bewegung kaum im Fokus. Einen Grund dafür vermutet Eichner in der Tatsache, dass sich eine unausgewogene Ernährung leichter „externalisieren“ lässt. Das heißt konkret, dass man hier Dritte – der Werbung, der Industrie, dem Handel – leichter für Versäumnisse verantwortlich machen kann, während man für den eigenen Bewegungsmangel doch offensichtlich selbst verantwortlich ist.

Niermann appelliert, die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse besser einzubinden. Diese finden in der Debatte viel zu wenig Beachtung. Den Bewegungsgipfel Ende 2022 im Kanzleramt bewertet sie als positives Zeichen. Allerdings müsse sich im Nachgang erst noch erweisen, ob auf das Zeichen auch konkrete Maßnahmen folgen. Damit diese erfolgreich sein können, müssen sie mehrere Lebenswelten, wie zum Beispiel Familie und Schule, zusammenführen. Eichner fasst zusammen: „Da müssten wir alle viel enger zusammenarbeiten – Gesundheitssystem, politisches System und Schulsystem, da, wo Kinder auftauchen.“

Wie können Verbraucher und Verbraucherinnen mehr Bewegung in ihr Leben bringen? Eichner und Niermann raten, ganz niedrigschwellig anzufangen. Zum Beispiel damit, öfter mal die Treppe statt Fahrstuhl zu benutzen oder die Kinder mit dem Fahrrad statt mit dem Auto in die Schule zu bringen.

In Richtung Politik haben beide den Appell, sich bewusst zu machen, wie viele Kosten durch eine erfolgreiche Präventionspolitik im Gesundheitssystem eingespart werden könnten. Dann lassen sich Projekte für mehr Bewegung vielleicht auch entschlossener angehen.