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Gibt die Ampel „grünes Licht“ für eine zukunftsfähige Zuckerwirtschaft?

Mit der neuen Regierung steht die Zuckerwirtschaft einer neuen politischen Lage gegenüber. Der Hauptgeschäftsführer der Zuckerverbände, Günter Tissen, fasst Erwartungen und Potenziale für die Branche zusammen.

Hauptgeschäftsführer Günter Tissen Zuckerverband

Mehr Fortschritt wagen – so betitelt die Ampel-Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag. Der Fortschritt könnte aus Sicht der Zuckerverbände allerdings größer sein. Die Ampel gibt für den Rübenanbau nicht nur „grünes Licht“. Die für den Rübenanbau wichtigsten Schlüsselressorts Ernährung und Landwirtschaft, Wirtschaft und Klimaschutz sowie Umwelt und Naturschutz stehen unter grüner Leitung. Die Zuckerverbände haben sich für die Rübenanbauer stark gemacht und Forderungen an die neu gewählte Bundesregierung gestellt (zum Positionspapier zur Bundestagswahl). Die kommenden vier Jahre werden zeigen, ob und wie viel Fortschritt auf den Rübenäckern und in den Zuckerfabriken tatsächlich ankommt.

Wettbewerbsfähiger Rübenanbau braucht Pflanzenschutz

Die Koalition will den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß beschränken. Dieses Prinzip des Integrierten Pflanzenschutzes ist den Rübenanbauern allerdings nicht neu. Mengenbeschränkungen für Pflanzenschutzmittel werden nicht genannt. Um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, nennt der Koalitionsvertrag eine Reihe von Maßnahmen. Was die Rübenanbauer hier konkret erwartet, wird aber nicht näher bestimmt. Die Koalitionäre wollen die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln rechtssicher und nach wissenschaftlichen Kriterien durchführen. Und das soll vor allem schneller passieren und Pflanzenschutzmittel sollen besser verfügbar sein, um so auch Resistenzen zu bekämpfen. Das lässt uns zumindest hoffen. Dies gilt es von unserer Seite künftig dann auch deutlich einzufordern.

Fortschritt braucht moderne Züchtungstechniken

Völlig unklar bleibt der Koalitionsvertrag beim Thema neue Züchtungsmethoden. Zwar solle die Züchtung von klimarobusten Pflanzensorten unterstützt werden sowie Transparenz über Züchtungsmethoden und die Risiko- und Nachweisforschung gestärkt werden. Die Ampel legt sich bisher aber nicht fest, wie sie neue Züchtungsmethoden einstufen will. Dabei ist es für eine zukunftsfähige Landwirtschaft wichtig, diese Potentiale zu nutzen und damit schnellstmöglich nachhaltig auf die Herausforderungen des Klimawandels zu reagieren. Bei zunehmender Trockenheit und den Reduktionszielen im Pflanzenschutz brauchen wir zügig widerstandsfähige Rüben-Sorten.

Auflagen dürfen regionalen Zucker nicht verdrängen

Für den Natur- und Biodiversitätsschutz bleibt die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag noch vage und setzt keine quantitativen Ziele. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die Koalition auf regionale Lösungen wie den niedersächsischen Weg setzen will. Wir werden den Prozess weiterhin kritisch hinterfragen. Denn klar ist, dass Zucker aus Deutschland wichtig ist für eine nachhaltige Lebensmittelwirtschaft, weil er schon heute nach den weltweit höchsten Umwelt- und Sozialstandards angebaut und hergestellt wird. Wenn regionaler Zucker von Wettbewerbern verdrängt wird, die ohne vergleichbare Auflagen billiger produzieren können, haben alle verloren – die Umwelt, das Klima sowie tausende Landwirte und Arbeitnehmer im ländlichen Raum. Insofern müssen die von der Ampel geplanten Veränderungen in einem Tempo geschehen, bei dem Landwirte und Zuckerproduzenten Schritt halten können.

Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsschutz im Freihandel

Rübenanbau in Deutschland muss sich lohnen und ein entsprechendes Einkommen sichern. Deshalb brauchen wir Schutz vor Preis-, Umwelt- und Sozialdumping. Das Bekenntnis im Koalitionsvertrag für eine deutsche und europäische Handelspolitik gegen Protektionismus und unfaire Handelspraktiken lässt uns zumindest hoffen. Aber auch dieses Versprechen muss erst noch eingelöst werden. Unklar ist, wie die neue Bundesregierung konkret und rechtlich verbindlich Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsschutz in den künftigen EU-Freihandelsabkommen erreichen will. Zudem muss sie sich auch gegen marktverzerrende Subventionen einsetzen.

Die Gemeinsame Agrarpolitik muss Einkommen sichern

Die Koalitionäre wollen dafür sorgen, dass die Begleitverordnungen zum nationalen Strategieplan der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) mit dem Ziel des Umwelt- und Klimaschutzes sowie der Einkommenssicherung angepasst werden. In der neuen Förderperiode sinkt die Basisprämie deutlich ab und die Prämien für die Eco-Schemes in intensiven Ackerbauregionen sind wenig attraktiv. Wenn die Koalitionäre die GAP-Verordnungen neu verhandeln, bringt das für die Betriebe weitere Unsicherheiten über das zukünftige Förderregime. Die Rübenanbauer brauchen dringend Planungssicherheit, denn Anbauplanungen finden nicht von Jahr zu Jahr, sondern über mehrere Jahre statt und mit der Herbstaussaat 2022 werden auch die Festlegungen für den Anbau im Jahr 2023 getroffen.

Klimaneutrale Zuckerproduktion braucht politische Unterstützung

Unsere Industrie weiß schon heute, wie sie mit politischer Unterstützung eine klimaneutrale Zuckerproduktion bis 2045 umsetzen können. Wir haben unsere Roadmap dafür bereits öffentlich vorgestellt. Jetzt zählen wir auf die politische Unterstützung. Der Koalitionsvertrag lässt uns hoffen, dass die neue Bundesregierung die Energiewende so angeht, dass sie unsere Zukunftsbranche auch technologieoffen fördert. Die Koalition bekennt sich zur Bioenergie und will eine Biomasse-Strategie erarbeiten. Für eine energetische Nutzung biogener Reststoffe aus der eigenen Produktion brauchen wir zudem Strom aus erneuerbaren Quellen. Dazu gehört auch die nötige Infrastruktur in ländlichen Regionen. Hier muss die Politik ihre Hausaufgaben machen.

Ernährungspolitik muss die Kalorienbilanz in den Fokus stellen

Die neue Regierung hat zuletzt angekündigt, sich für verbindliche Reduktionsziele u.a. für Zucker stark zu machen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass dabei die Bedeutung der Kalorien im Blick bleibt. Denn eine Zuckerreduktion macht nur Sinn, wenn dadurch gleichzeitig deutlich weniger Kalorien aufgenommen werden. Entscheidend für das Körpergewicht ist die Kalorienbilanz. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen kompetente Entscheidungen für eine ausgewogene Ernährung mit Blick auf die Kalorienbilanz treffen können.

Die Zuckerwirtschaft ist bereit

Der Koalitionsvertrag enthält viele Absichtserklärungen und im Agrarbereich nur wenige klar definierte Maßnahmen. Begreifen wir es als Chance. Wir müssen daher weiterhin für die Zuckerrübe werben. Denn das Potenzial der Zuckerrübe ist enorm. Das gilt auch für den Umweltschutz und den Klimaschutz. Aber am Ende muss es sich auch für den Rübenanbauer lohnen. Hier nehmen wir den neuen Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, gerne beim Wort: „Landwirtinnen und Landwirte müssen am Ende des Tages Geld mit ihren Betrieben verdienen.““